Sonntag, 4. November 2007

Revolutionäre Auswirkungen der Sozialpolitik

Vortrag vor der Jahrestagung der Vereinigung Pjotr Skarga in Krakau im Oktober 2006
von Paul Herzog von Oldenburg


Ein wichtiger Anteil der heutigen Staatsbudgets, in Deutschland sind es über die Hälfte, wird für die sog. Sozialausgaben ausgegeben. Hierzu gehören Kranken-, Renten, Arbeitslosenversicherung. Von Land zu Land ist es sehr unterschiedlich, wie und was versichert wird, bzw. in welchem Maße der Staat diese Versicherung anbietet und wie der Staat diese Versicherungen, also den Sozialstaat finanziert.

Ursprünglich waren die Leistungen als einzahlungspflichtige Versicherungen konzipiert oder sie wurden umlagefinanziert, wie bei uns die Rente. Das heißt, die arbeitende Bevölkerung zahlt für die schon in Rente befindlichen Bürger, die wiederum ein Leben in die sog. Rentenversicherung eingezahlt haben.

Doch bleibt es nirgendwo aus, daß der Staat zumindest teilweise für den Sozialstaat Steuern eintreibt, nicht zuletzt deswegen, da die sog. Versicherungen permanent unterfinanziert sind. Mit anderen Worten: Die Menschen arbeiten und ein Teil ihres Einkommens wird ihnen genommen, um es anderen zu geben, die damit ihren Lebensstandard erhöhen. Man argumentiert, daß der Einzelne einen Anspruch an die Allgemeinheit hat, vor Notfällen beschützt zu werden und entsprechend erwatet er, daß die Allgemeinheit ein Opfer für diesen in Not geratenen Menschen und seine Familie erbringt und ihm eine würdige Existenz sichert.
Weiteres Ziel ist hier eine Angleichung des Lebensstandards an den Rest der Gesellschaft oder zumindest die Erreichung eines Lebensstandards, der von der Allgemeinheit als „menschenwürdig“ anerkannt ist. Das wird in Deutschland das „soziale Netz“ genannt, durch das keiner durchfallen soll. Die Kriterien sind dafür natürlich von Land zu Land verschieden.

Was soll man davon halten? Ist dieser Zustand, der heute große Unsummen an Steuergelder verschlingt, gerecht? Wieviel kann man den Nicht-Bedürftigen abverlangen, um den Bedürftigen zu helfen? Darf man überhaupt etwas von ihnen verlangen?
Papst Leo XIII. erklärt in seiner berühmten Enzyklika Rerum Novarum daß der Mensch in der Tat eine moralische Verpflichtung hat, anderen zu helfen, wenn sie in Not geraten. Wer Privateigentum besitzt muß im Prinzip etwas davon für die Linderung der Not anderer abgeben, was keineswegs eine Minderung seines Rechtes auf das Eigentum bedeutet. Das ist die soziale Komponente des Eigentums.

Hierüber herrscht im Allgemeinen Konsens. Die komplizierte Frage, mit der ich mich in diesem Vortrag beschäftigen will, ist, wie diese Hilfe organisiert wird. Diese Frage ist mannigfaltig und kann zum Beispiel in folgende zwei Unterfragen zerlegt werden:

1. Darf die Hilfe an Bedürftige vom Staat verwendet werden, um ein bestimmtes Menschen- und Gesellschaftsbild anzustreben, wie das beispielsweise unsere linken Parteien im Westen tun und im ehemaligen kommunistischen Block die Regierungen taten?

2. Soll und darf diese Hilfe vorwiegend auf staatlichem, also zentralistischem und anonymen Weg erfolgen, oder eher auf privater Ebene, durch private oder kirchliche Initiative?
Ich werde nun auf diese Fragen eingehen, bzw. wie sie im geschichtlichen Kontext darstellen, wie sie sich ergeben haben und wie sie von den jeweiligen Regierungen beantwortet wurden.

Hinsichtlich der ersten Frage muß festgestellt werden, daß eine organisierte Unterstützung von Hilfsbedürftigen immer eine Ideologie, ein Menschenbild oder ein Gesellschaftsbild zugrunde liegt. Auch als die Kirche im Namen der Caritas den Armen, Witwen und Waisen geholfen hat und die Herrschenden, vor allem den Adel, aufgefordert hat dasselbe zu tun, hatte die Kirche ein bestimmtes Bild vor Augen, was und wie der Mensch zu sein hat und vor allem wie die Gesellschaft auszusehen hatte.

In der Tat ist es so gewesen, daß durch Werke der Barmherzigkeit die Kirche erheblich zur Formung einer bestimmten Gesellschaft beigetragen hat. Sie hat dadurch den Reichen gezeigt, daß für sie das Geben eine Bereicherung ist. Den Armen hat sie gelehrt, daß sie Hilfe annehmen und sich auch unter dem Schutz eines Stärkeren stellen sollen. Im christlichen Menschen haben sich diese Vorstellungen so tief eingeprägt, daß er oft gar nicht mehr weiß, daß sie Folge eines gezielten Handelns der Kirche gewesen ist.

In der Antike war dies nicht so. Hier galt Mitleid als Schwäche. Nur aus politischen Gründen wurde hier den Armen und Kranken geholfen.

Die katholische Kirche hat auf diese Weise vor allem im Mittelalter gewirkt und damit erheblich ihren Einfluß erweitert. Die Institutionen der Barmherzigkeit blieben bis heute weiterhin bestehen, doch mit der Zeit bekam die Kirche Konkurrenz, vor allem seitens des Staates.
Ich möchte das am Beispiel meines eigenen Landes deutlich machen:

Der ersten Sozialgesetzgebung in Deutschland Ende des 19 Jh., mit der den Arbeitern in der Industrie das Leben erleichtert werden sollte, ging die Bauernbefreiung voraus, eine Konsequenz der Französischen Revolution, die aber erst zum Elend der Befreiten und in die Ballungsräume abgewanderten ehemaligen Bauern geführt hatte.

Betrachten wir das etwas näher.
Die französische Revolution und der Sieg der Maxime „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“, die II. Revolution, hat in Europa die sog. Ständeordnung abgeschafft. Bis zur Französischen Revolution wurde die Gesellschaft als ein hierarchisches Netz von Abhängigkeiten aufgefasst. Dieses gesellschaftliche System hat seinen Ursprung im Feudalismus und seine Grundlage besteht in der Anerkennung, dass die Menschen erst einmal verschieden und dann aufeinander angewiesen, eben gerade nicht unabhängig sind, und deshalb eine hierarchische Struktur bilden, die wiederum Kultur, Politik und Wirtschaft, also sämtliche Bereiche der Gesellschaft prägt.

Die Trilogie „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ betont stattdessen das Individuum als eine völlig autonome Person und idealisiert in letzter Konsequenz ein völlig horizontal gegliedertes Gesellschaftssystem, in dem die gegenseitigen Abhängigkeiten durch Rechte und Pflichten in Gesetzesform definiert und festgemacht werden und nicht mehr primär durch die persönlichen Beziehungen der alten Ordnung, geprägt durch Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Demut, Gerechtigkeit und Klugheit. Mit anderen Worten: Die alte Ständeordnung war funktionsfähig und erfüllte ihren Zweck in dem Maße, wie sie vom christlichen Geist durchdrungen und sie ein Spiegelbild christlichen Lebens auf der gesellschaftlichen Ebene war.

Die Trilogie „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ ist eigentlich keine Trilogie, denn das Hauptziel der Revolution (Revolution hier als Prozeß im Sinne des brasilianischen Denkers Prof. Plinio Corrêa de Oliveira) ist weder die Freiheit noch die Brüderlichkeit, sondern die Gleichheit. Die Freiheit wurde oft nur angeführt, um mehr Gleichheit zu erreichen. Außerdem ist der revolutionäre Begriff von „Freiheit“ falsch, wie mehrere Päpste erklärt haben, angefangen mit Leo XIII. in seiner Enzyklika Libertas aus dem Jahr 1888.

Ebenso ist die Brüderlichkeit in der revolutionären Auffassung nichts anderes als ein Vorwand, mehr Gleichheit zu erreichen. Wahre Brüderlichkeit wäre die Ausübung der christlichen Tugenden der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit, während die Revolution in allen Zeiten die Kirche verfolgt und das Christentum angegriffen hat. Das revolutionäre Konzept von Brüderlichkeit ist stattdessen das Gefühl von Zugehörigkeit zu einer mehr oder weniger undefinierten Masse, also eine relativ niedrige Stufe des Geselligkeitsinstinktes.
Was bewirkte aber die Französische Revolution konkret im sozialen Gefüge und in der Wirtschaft?

Die wichtigste Maßnahme in Deutschland, bzw. in den Fürstentümern, war die sog. Bauernbefreiung. Die Bauern befanden sich bis dahin in Abhängigkeit vom Grundherrn. Sie erhielten ein Lehen, auf das sie eine Abgabe zu zahlen, Frondienste zu verrichten oder, im Falle der Kirche, als Grundherr, den Zehnt zu zahlen hatten. Das war die Vergütung für den Schutz, das Land und die Jurisdiktion durch den Grundherrn.

Der Bauer konnte nicht ohne weiteres das Land verlassen, der Grundherr konnte ihn aber auch nicht entlassen, wann er wollte. Dahinter stand die Vorstellung, dass man aufeinander angewiesen war, in gegenseitiger Abhängigkeit stand und es Verbindungen gab, die sich zwischen den Familien der unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten über Generationen entwickelt und gefestigt hatten.

In einigen Gegenden nun erhielten die Bauern das von ihnen bewirtschaftete Land unentgeltlich, was einer Bodenreform im sozialistischen Sinne gleichkommt, in anderen mussten die Bauern das Land erwerben, was sie nur unter Inanspruchnahme von Krediten konnten und behielten quasi die Abhängigkeit zum Grundherrn über diese Schuld, die sie sehr oft in den Ruin trieb. Diese und diejenigen, die gleich bei ihrer sog. Befreiung arbeitslos wurden, wanderten massenweise ab in die aufstrebende Industrie, die einen Arbeitskräftesog ausübte. Es entstand das Proletariat am Rande der Städte.

Im Namen der Freiheit und insbesondere der Gleichheit wurde eine soziale Revolution durchgeführt, die schließlich zum Elend gerade derjenigen geführt hat, denen man angeblich helfen wollte.

Ein Teil der Bauern schaffte es schließlich, Arbeit in der Industrie oder den Minen zu finden, wo sie nicht selten unter katastrophalen Bedingungen arbeiten mussten. Gerade Frauen und Kinder wurden scharenweise in den Kohleminen angestellt, da sie leichter durch die engen und niedrigen Schächte hindurch kamen.

Die Bauernbefreiung hat also weder mehr Gleichheit noch Freiheit geschaffen, was doch die angebliche Intention war, sondern vor allem die Auflösung des herrschenden sozialen Gefüges und den Beginn der Atomisierung der Gesellschaft.

Prof. Plinio Corrêa de Oliveira sagt dazu: „Die Französische Revolution [war] der Triumph des Egalitarismus auf zwei Gebieten. Auf religiösem Gebiet machte sich dieser in Form des trügerisch als Laizismus bezeichneten Atheismus breit, und auf politischem Gebiet zeigte er sich mit dem unrichtigen Grundsatz, dass jede Form von Ungleichheit ein Unrecht, alle Autorität eine Gefahr, die Freiheit aber das höchste Gut sei.“

Durch die Entwurzelung der Menschen und dem Auseinanderreißen der über Generationen gewachsenen Bindungen durch die Pseudobefreiung setzte eine seelische und geistige Verarmung des Volkes ein.

Wir erkennen also, dass die Dekonstruktion gesellschaftlicher Strukturen, die Individualisierung und die Atomisierung der Gesellschaft der rote Faden der sozial-revolutionären Veränderungen seit der Französischen Revolution bis in unsere Tage ist.

Die Veränderungen gehen gut aus den Schilderungen eines gewissen Paul Göhre aus dem Jahre 1891 hervor: „Der alte, auf der Blutsverwandtschaft von Eltern und Kindern ruhende und aus allein solchen blutsverwandten Gliedern zusammengesetzte Organismus der Familie … hat in der Tat in jener Bevölkerungsschicht (gemeint ist die Arbeiterklasse) heute bereits mehr oder weniger einem erweiterten, auf den rein wirtschaftlichen Bedürfnissen gemeinschaftlichen Wohnens und Lebens aufgebauten, in der Zusammensetzung seiner Glieder durch Zufälligkeiten gebildeten Kreise von Blutsverwandten unter Fremden Platz gemacht. Deutlich treten hier die verwandtschaftlichen Neigungen hinter die wirtschaftlichen Verpflichtungen zurück. Aus der Mutter wird der Hausvorstand, der von dem eigenen Manne, den erwachsenen Kindern und den Fremden eine fest bestimmte Summe erhält und dafür verpflichtet ist, die Ausgaben für Wohnungsmiete, Nahrung, Wäsche und ähnliches zu bestreiten, während für die Kleidung ein jeder für sich zu sorgen pflegt.“

Schlüssig nach dem Schlachtruf „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ wurden sozialistische und Kommunistische Parteien, die das ganze Übel im Privateigentum an den Produktionsmitteln sahen, gegründet, die als Auffangbecken der gerade „Befreiten“ fungierten und ein Stückchen verlorene Heimat boten. Nicht umsonst wird die Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Ruhrgebiet immer noch die „alte Tante SPD“ genannt.

Mit anderen Worten: Es sollte der Französischen Revolution eine zweite folgen, was auch in Russland geschah und die sich auf einen bedeutenden Teil der Welt ausdehnte. Anstatt zu einer Besserung der Verhältnisse führte sie zu einer noch ärgeren Armut, zu Hungerkatastrophen, millionenfachen Morden, einhergehend mit religiösen Verfolgungen und moralischen Verwüstungen. Schauen wir heute nach Russland, kann man nicht mehr von einer intakten Gesellschaft sprechen.

Das ist der soziologische Hintergrund, der Papst Pius XII. bei seiner Weihnachtsansprache 1944 veranlaßte, von der Entstehung der Masse zu sprechen, die kein Eigenleben hat und wie eine Maschine manipulierbar ist:

„Volk und gestaltlose Masse, oder, wie man gewöhnlich sagt: Masse, sind zwei verschiedene Begriffe. Volk lebt und bewegt sich durch Eigenleben, Masse ist in sich träge und kann nur von außen bewegt werden. Das Volk lebt aus der Lebensfülle der Menschen, aus denen es sich zusammensetzt. Und deren jeder einzelne – an seinem Posten und der ihm eigenen Art- eine der eigenen Verantwortung und der eignen Überzeugung sich bewusste Person ist. Die Masse hingegen erwartet den Antrieb von außen, sie wird leicht zum Spielball in der Hand eines jeden, der ihre Naturtriebe oder ihre Beeindruckbarkeit auszunützen versteht; sie ist bereit, wie es gerade kommt, heute diesem, morgen jenem Banner zu folgen. Aus der Lebensfülle echten Volkes ergießt sich das Leben, überfließend und reich, in den Staat und alle seine Organe und flößt in diesen in unaufhörlich erneuter Kraft das Bewusstsein eigener Verantwortlichkeit und wahres Verständnis für das Gemeinwohl ein. Der elementaren Kraft der Masse jedoch kann sich der Staat bedienen, wenn sie nur geschickt gehandhabt und genutzt wird: in den ehrgeizigen Händen eines einzelnen oder mehrerer, die eigennützige Bestrebungen zusammengeschlossen haben, kann der Staat, gestützt auf die Masse, die einfach nur mehr zur Maschine entwürdigt ist, seine Willkür dem besseren Teil des wahren Volkes aufzwingen. Das Gemeinwohl wird dadurch hart und für lange Zeit getroffen, und die Wunde ist recht schwer zu heilen.“

Erneut bewirkte die Maxime „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“, natürlich wiederum reduziert auf den Schlachtruf „Gleichheit“ eine weitere Individualisierung und Dekonstruktion der organisch gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen, der Strukturen eines Volkes hin zur Masse, von der christlichen Zivilisation hin zu einer anarchistischen Gesellschaftsform.
Im Westen war man etwas milder. Bismarck erarbeitete die sog. Sozialgesetzgebung, die unter anderem Bestimmungen über die Arbeitszeit, Frauen- und Kinderarbeit und Arbeitslosenschutz enthielt. Interessant ist, dass er die Sozialhilfe als eine Aufgabe des monarchisch landesväterlich regierten Staates sieht. Damit übernimmt jetzt erstmalig der Staat die Aufgaben, die vor der Französischen Revolution den Grundherren oblagen. Die soziale Verantwortung für den Schwächeren wird jetzt auf zentralistische, unpersönliche, anonyme Weise organisiert.

Das organische Sich – Kümmern um den Schwachen, den Kranken, die Witwen und Waisen heraus aus der Familie, Großfamilie, Dorfgemeinschaft, der Einheit des Gutsbetriebes oder auch durch die Kirche mit ihren uralten karitativen Strukturen wird abgelöst durch ein anonymes 1:1 Verhältnis von Bedürftigem gegenüber dem Staat.

Durch die zentralistische Organisation der sozialen Unterstützung für die Menschen, zerschlägt der Staat traditionelle Strukturen, die charakteristisch sind für eine christliche Gesellschaftsordnung.

Bismarck erkannte selber, dass seine Sozialgesetzgebung einen sozialistischen Charakter hatte, den er sogar in Beziehung zu den Stein- Hardenberg’schen Reformen setzte. In einer Debatte sagte er: „ Wenn man mir sagt, das ist Sozialismus, so scheue ich das gar nicht. Es fragt sich nur, wo liegt die erlaubte Grenze des Staatssozialismus? War nicht z.B. die Stein-Hardenberg’sche Gesetzgebung gloriosen Angedenkens, an deren Zweckmäßigkeit heutzutage niemand mehr zweifeln kann, staatssozialistisch? Wer den Staatssozialismus als solchen vollständig verwirft, muß auch die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung verwerfen“.

(Die Stein Hardenbergschen Gesetze Anfang des 19. Jh. waren die Umsetzung der Ideale der Französischen Revolution auf dem Gesetzeswege.)

Damit wurde also die Grundlage des deutschen Sozialstaates gelegt, der seitdem immer mehr aufgebläht wurde, immer unter dem Vorwand, entweder mehr Solidarität zu schaffen, geschehen in den 20 Jahren nach dem Krieg, oder mehr Gleichheit zu bekommen, wie es die sozial-liberale Koalition ab 1969 durchgeführt hat. Hier sind zu nennen vor allem die Spitzensteuersätze von 54% für die so genannten Besserverdienenden, unter dem Zeichen der Umverteilung von oben nach unten und die Mitbestimmung der Beschäftigten in den größeren Betrieben, die eigentlich schon lang in eine Selbstverwaltung hätte münden sollen.

Der Verfall der Strukturen und inneren Bindungen, wie sie ein gesundes Volk aufweist, ging weiter.

Mit der 68er Revolte manifestierte sich die IV. Revolution und proklamierte die totale Freiheit, die einen Zustand erreichen will, in welchem der Mensch von allem unabhängig ist: Menschen (Familie, Schulautorität, Pfarrer), Moral, Religion, Sitte und Tradition. Unabhängigkeit hört sich verlockend an, zeigt aber hier nur den Weg des Volkes hin zur Masse, in der die Individuen vollkommen frei und vollkommen gleich nebeneinander sind.

Heute existieren die unglaublichsten staatlichen Beihilfen, die Rücksicht nehmen auf die verwegensten Formen des Lebens. Schon Jugendliche unter 18 können einen Mietzuschuß für eine separate Wohnung beantragen, wenn sie aus dem elterlichen Haus ausziehen wollen. Wenn sie angeben, dass die Eltern sie in der persönlichen Entfaltung hindern, erhalten sie diesen Zuschuß.

Ein Mädchen lebt heute so gut von der Unterstützung, die sie für ihre uneheliche Kindern von verschiedenen Männern bekommt, dass sie gar nicht auf die Idee käme, ihren Familienstand zu verändern und zu heiraten, da ihr dadurch nur finanzielle Nachteile erwüchsen.

Ein Arbeitsloser denkt überhaupt nicht daran, wieder eine geregelte Arbeit aufzunehmen, da ihm dadurch nicht mehr Geld zur Verfügung, sondern er im Gegenteil viel weniger Freizeit hat. Hier konkurriert die Sozialhilfe mit dem Arbeitsmarkt. Dieses Beispiel haben wir auf unserem landwirtschaftlichen Betrieb nicht nur einmal erlebt. Man sollte meinen, dass bei 4,5 Mio. Arbeitslosen genügend Personen zur Verfügung stünden, um bei der Erdbeer- und Spargelernte oder der Weinlese zu helfen. Man bekommt sie nicht. Stattdessen kommen jedes Jahr tausende helfende Hände aus Polen nach Deutschland, die weitaus zuverlässiger arbeiten als die wenigen Deutschen, die sich eventuell auf den Feldern einfinden.

Diese Beispiele zeigen, wie schädlich sich die verstaatlichte Sozialpolitik auswirkt. Unter dem ideologischen Vorwand, mehr Gleichheit und Freiheit in den Lebensverhältnissen für das Individuum zu schaffen, werden die Menschen sehr häufig zur Amoralität verführt.
Diese Amoralitäten zu unterbinden, ist eigentlich die Aufgabe des Staates, der sich der christlichen Zivilisation verpflichtet fühlen müßte.

Soll und darf diese Hilfe vorwiegend auf staatlichem, also zentralistischem und anonymen Weg erfolgen, oder eher auf privater Ebene, durch private oder kirchliche Initiative?

Mit wenigen Beispielen, eines aus den Überresten der feudalen Ordnung, ein anderes aus der heutigen Zeit, möchte ich zum Schluß verdeutlichen, was durch private Initiativen möglich ist:
Kurz nach Ende des Krieges kamen die beiden jungen Haushälterinnen der italienischen in Deutschland verheirateten Großmutter meiner Frau, der Fürstin zu Löwenstein, und eröffneten ihr, dass sie beide von zwei jungen Herren aus dem Ort schwanger seien und in ihrer Hoffnungslosigkeit versuchten, ihre Kinder auf die eine oder andere Weise los zu werden, was natürlich eine Katastrophe war. Mit einer kompletten Säuglingsgarnitur für beide und allen möglichen anderen Überzeugungskünsten, die ihr gegeben waren, redete die Fürstin auf die beiden ein, so dass sie heirateten. Die Ehen halten bis heute und haben noch weitere Kinder hervorgebracht. Eine der Schwestern äußert noch heute ihre große Dankbarkeit für die Beharrlichkeit und die Weitsicht der Fürstin, die sie vor einer furchtbaren Tat bewahrt hat.

Auf den Dörfern in Hessen, dem Bundesland, in dem ich wohne, ist es immer noch üblich, dass sich Nachbarn beim Hausbau oder -umbau unter die Arme greifen. Diese Nachbarschaftshilfe ist so alt und hat eine solche Tradition, dass sie von den Finanzbehörden nicht als Schwarzarbeit angesehen wird. Auch gibt es eine Liste von Großmüttern oder alleinstehenden Damen, die immer dann einspringen, wenn junge Mütter Kinderbetreuung benötigen oder Hilfe im Haushalt vonnöten ist. Leider ist dies auch nur noch in den ländlichen Gebieten der Fall und ist im Begriff zu verschwinden.

Die Kinderschwester meines Vaters, Jahrgang 1900, lebte Zeit ihres Lebens in unserer Nähe, so daß sie eine Ersatzgroßmutter auch für mich und meine Schwestern wurde. Als sie Demenzkrank wurde und schließlich fiel und sich die Hüfte brach, war die Zeit gekommen, daß sie in ein Altersheim kommen sollte. Doch eine Schwester meines Vaters, mit damals selber noch 5 jugendlichen Kindern, nahm sie bei sich auf und pflegte sie 6 Jahre bis zu ihrem Tod.
Eine Möglichkeit, diese für die Gesellschaft so dekonstruktive Entwicklung zumindest zu bremsen, ist der vehemente Einsatz für die Rückübertragung von Verpflichtungen, die heute der Staat übernommen hat, an die Menschen, die Familien, die Allgemeinheit.

Im Gegenzug muß natürlich der Einzelne, die Familie über eine starke steuerliche Entlastung in die Lage versetzt werden, diese wiedergewonnenen Pflichten zu übernehmen. Das würde zu mehr Eigenverantwortlichkeit und Kreativität auch in diesem Bereich führen. Das setzt allerdings auch voraus, dass sich die Gesellschaft wieder besinnt auf die Werte einer christlichen Gesellschaft, die durchdrungen ist von Nächstenliebe und Barmherzigkeit.

Lassen Sie mich zusammenfassen:

Wenn wir davon ausgehen, daß die richtige und für das Gedeihen einer Gesellschaft förderlichste Struktur, die hierarchische, vom christlichen Menschenbild durchdrungene Ordnung ist, dann ist den Bestrebungen eines Staates, der durch seine Politik diese Ordnung versucht zu zerstören, mit aller Bestimmtheit entgegenzutreten.

Stattdessen muß dafür gestritten werden, daß die organisch gewachsene Struktur der Gesellschaft wieder das christliche Menschenbild als Vorbild anerkennt und es anstrebt. Daraus erwächst dann wieder die private, familiäre, dörfliche usw. Initiative für die Organisation der Hilfe für die Bedürftigen. Der Staat kann dies natürlich unterstützen, indem er die Aufgaben, die er im Laufe der Geschichte zentralistisch an sich gerissen hat, wieder zurückdelegiert. Das würde auch der endlosen Neuverschuldung der Staatshaushalte ein Ende bereiten.

Donnerstag, 4. Oktober 2007

Die Guillotine beginnt zu fallen

Von Paul Herzog von Oldenburg

„Er ist überall und unter allen anzutreffen. Er versteht es, gewaltsam und verschlagen vorzugehen. In den letzten Jahrhunderten hat er versucht, die geistige, sittliche und soziale Zersetzung der Einheit im geheimnisvollen Organismus Christi zu bewerkstelligen. Er wollte eine Natur ohne Gnade, eine Vernunft ohne Glauben, eine Freiheit ohne Autorität – manchmal auch eine Autorität ohne Freiheit. Es ist ein Feind, der immer konkreter wurde und eine Skrupellosigkeit an den Tag legte, die noch heute überrascht: Christus ja, aber keine Kirche! Später dann: Gott ja, aber Christus nicht! Und schließlich der ruchlose Aufschrei: Gott ist tot, oder sogar: Gott hat es nie gegeben. Und nun sehen wir uns sogar dem Versuch gegenüber, das Weltgebäude auf Grundlagen zu errichten, von denen wir ohne Zögern behaupten können, daß sie an erster Stelle für die Bedrohung verantwortlich sind, die auf der Menschheit lastet: eine Wirtschaft ohne Gott, ein Recht ohne Gott, eine Politik ohne Gott.“
Papst Pius XII in seiner Ansprache Nel Contemplare vom Oktober 1952 über den Feind der Kirche

Mit der Verurteilung des Kreationismus und zusammen mit der Entschließung vom 29. Juni dieses Jahres über „Staat, Religion, Säkularität und Menschenrechte“ schwingt sich der Europarat immer mehr zur einzig gültigen moralischen Instanz Groß – Europas auf.

Das Dogma heißt jetzt Menschenrechte. Die Menschenrechte sind das Maß aller Dinge. Alle haben sich danach zu richten. Die Staaten müssen mit allen Mitteln dafür Sorge tragen, daß alle am öffentlichen Meinungsbildungsprozeß beteiligten Gruppen sich an die Menschenrechte halten. Wenn das irgendjemand nicht tut, muß dieser zu Recht gewiesen werden.
Insbesondere das Dokument vom 29. Juni 2007 ist eine Kriegserklärung an die Katholische Kirche.

Es wird festgestellt, daß „die Religion des Einzelnen oder die Wahl, keine Religion zu haben, eine absolute Privatangelegenheit“ sei. Es wird also geradeso getan, als sei der Mensch schizophren und fähig eine Spaltung zwischen dem privaten Menschen und dem politisch aktiven Menschen vorzunehmen.

„Die religiöse Freiheit ist durch die europäische Konvention der Menschenrechte geschützt.“ Aber die religiöse Freiheit ist nicht unbeschränkt, „denn religiöse Grundsätze, die in der Praxis eine Verletzung der Menschenrechte implizieren, sind inakzeptabel.“

Es gibt also für unsere so tolerante und liberale Gesellschaft religiöse Grundsätze, die inakzeptabel sind.

Die Menschenrechte - das ist höchste Dogma heute. Dieses Dogma erlaubt keine Infragestellung, keinen Protest. Der Platz, den Gott in der katholischen Gesellschaft des Mittelalters einnahm, - wo jede Verletzung der Rechte Gottes inakzeptabel war – wird nun durch die Menschenrechte besetzt.

Dies ist ein zusätzlicher Beweis, daß die Gesellschaft niemals religiös neutral bleiben kann – entweder sie respektiert Gott oder sie stellt jemand anderen auf seinen Platz – hier den Menschen.

Doch was bedeuten diese Menschenrechte konkret? Demnächst werden die Menschenrechte von einem Großteil der europäischen Länder in die Charta der Grundrechte der EU aufgenommen, die noch anti-christlicher als die vorherige ist und die für alle Länder, die den „vereinfachten Vertrag“, der anlässlich des letzten europäischen Gipfels in Brüssel ausgehandelt wurde., ratifizieren, zwingend wird.

In dieser Charta ist z. B. das Recht auf Leben diskriminiert, denn nicht berücksichtigt werden die ungeborenen Kinder, die Opfer einer Abtreibung werden könnten und auch nicht die Alten, denn man hat die Klausel der vorigen Konvention, wonach „niemand absichtlich getötet werden darf“, gestrichen und öffnet so die Tür zu Euthanasie und zum Selbstmord unter ärztlicher Assistenz.

Die neue Charta sieht auch das Recht vor, zu heiraten und eine Familie zu gründen, ohne sich festzulegen, daß es sich um einen Mann und eine Frau handeln muß, wodurch die Homosexuellen berechtigt sein werden, zu heiraten und Kinder zu adoptieren, um so mehr als sie keine Diskriminierung zu erwarten haben wegen des Rechtes auf freie sexuelle Orientierung.

Weiter gibt es das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen – vorausgesetzt, daß die „demokratischen Werte“ respektiert werden.

Dann ist da noch die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau „in allen Bereichen“ einschließlich der Religion, was die katholische Kirche den Feministen zu verdanken hat, die Strafverfolgung wegen widerrechtlicher Diskriminierung gegen den Vatikan einleiten könnten, da die Kirche den Frauen die Priesterweihe und die Zulassung zu den höchsten geistlichen Ämtern verweigert.

Es gibt auch das Recht auf Blasphemie, denn der Bericht von Herrn Puig bringt klar zum Ausdruck, daß das Recht sich zu äußern, nicht eingeschränkt werden kann, auch nicht um Rücksicht auf gewisse Dogmen oder Überzeugungen der einen oder anderen religiösen Gemeinschaft zu nehmen. Also die Muttergottes oder Unseren Herrn lächerlich zu machen ist in Zukunft jedem unbenommen.

Das sind einige unantastbare Dogmen dieser neuen Religion der Menschenrechte, die keine Infragestellung seitens einer Religion, egal welcher, duldet.

Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich inakzeptabel, daß ein Land „seine Gesetze zur Gänze oder teilweise der katholischen Morallehre entsprechend ausarbeitet“. Daß Malta also selber über die Ehescheidung bestimmt oder Irland das Leben des Fötus anerkennt – ein Ding der Unmöglichkeit.

Die Staaten müssen sofort reagieren so der Rat: „Wo die Ausübung der Religion mit den Menschenrechten oder dem öffentlichen Interesse in Konflikt zu geraten scheint, ist es die erste Pflicht der Regierungen, den demokratisch ausgedrückten Willen der Bürger zu respektieren“ (es sei denn, die Bürger haben die katholischen Gesetze gutgeheißen wie in Malta und Irland; denn in diesem Fall müssen diese Länder getadelt werden).

Ein Einfluss von religiösen Strukturen kann und darf es also nicht geben, denn diese gefährden die Freiheit in der Gesellschaft. Um diesem Risiko zu begegnen, muß „eine Vereinbarung getroffen werden, die den religiösen Gemeinschaften eine Einmischung in Fragen, die rein weltlich bleiben müssen, untersagt.“

Es geht also nicht mehr um „maßlosen Einfluss“ oder „übertriebenen Einfluss“. Es geht um jeglichen Einfluss von religiösen Hierarchien. Über die Fragen, die von den humanistischen Strömungen zu Unrecht als rein weltlich betrachtet werden (wie Abtreibung, Euthanasie, Heirat Homosexueller) können sich die religiösen Autoritäten dann mit einer Handvoll Getreuer in der Ecke der Sakristei unterhalten.

Sonst riskieren sie, mit einem Antrag auf Verurteilung wegen Homophobie vor dem europäischen Parlament versehen zu werden, wie dies bei Msgr. Leonard, Bischof von Namur und bei dem Präsidenten der italienischen Bischofskonferenz, Erzbischof von Genua, Mgr. Bagnasco geschehen ist (oder Morddrohungen zu erhalten wie dies bei letzterem der Fall war).

Sie riskieren auch, vor eine parlamentarische Untersuchungskommission geladen zu werden, die die Einmischung von Angehörigen religiöser Gemeinschaften ins politische Leben untersucht, wie dies in Australien anlässlich des Treffens von Kardinal Pell, Erzbischof von Sydney mit seinem Kollegen, dem Erzbischof von Perth geschehen ist.

Und sie riskieren, vor Gericht gestellt zu werden, wie dies Kardinal Norberto Rivera, aus Mexiko Stadt, passiert ist, der Ärzte seiner Diözese, die in öffentlichen Spitälern arbeiteten, aufgefordert hat, nach ihrem Gewissen zu handeln und sich zu weigern, Abtreibungen, die seit kurzem gesetzlich erlaubt sind, durchzuführen.

Es macht sich Stück für Stück „die Diktatur des Relativismus“ breit, die Kardinal Ratzinger in seiner Ansprache vor dem Konklave, das ihn zum Papst gewählt hat, angeprangert hat.

Eine Diktatur, die den Menschenrechten und der Demokratie den Vorrang über jedes religiöse Prinzip einräumt. Auf Grund der Tatsache, daß sie gewählt wurden, können sie die schlimmsten Ungerechtigkeiten im Namen der Mehrheit erzwingen.

Hitler wurde auch demokratisch gewählt und seine Gesetzgebung unter Einhaltung der Vorschriften durchgezogen.

Aber was bleibt den Kirchen, wenn sie sich nicht mehr gegen unmoralische, dem Naturgesetz und dem Gesetz Gottes widersprechende Gesetzgebungen wehren können? Sich anpassen. Der Rat bekräftigt: „Die Religionen müssen sich im Licht der wissenschaftlichen und sozialen Veränderungen bewegen, indem die den neuen Gesetzen und den neuen Werten der Gesellschaft Rechnung tragen.“

Nicht Mission sondern Bekehrung der Kirche zum Bekenntnis zum relativistischen und fortschrittlichen Dogma Menschenrechte.

Dies alles wurde diskutiert und angenommen ausgerechnet am Fest der Heiligen Peter und Paul, der zwei Apostel, die ihr Blut vergossen haben, um Zeugnis für Christus zu geben und sich geweigert haben, das Knie vor einem Herrscher zu beugen, der als göttlich betrachtet wurde, genau wie heute der moderne Staat.

Die Guillotine beginnt schon zu fallen. Entweder wir beugen den Kopf und beweihräuchern das neue Idol – die Menschenrechte – , indem wir gegen unser katholisches Gewissen handeln oder wir leisten Widerstand, indem wir dem Aufruf des Papstes folgen und „die Werte, die unantastbar bleiben müssen, die nicht verhandelbar sind“, schützen.

Das sind zuallererst: Respekt und Verteidigung des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod und die Familie, die durch die Heirat von Mann und Frau gegründet wird.